Wir werden alle vergiftet

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat wieder mal zugeschlagen und den
PESTIZIDATLAS 2022 erstellt.

Viele Medien nehmen dieses Meisterwerk der Desinformation dankbar auf

Meine Meinung zu dieser Organisation möchte ich hier nicht groß äußern. Nur so viel, dass sie für mich kein Synonym für Seriosität und Rechtschaffenheit ist.
Viele Medien haben den Pestizidatlas für einen Rundumschlag und Angriff auf die konventionelle Landwirtschaft genutzt. Als besonders fragwürdiges Beispiel will ich die Berichterstattung der Tagesschau erwähnen. Neutraler Journalismus geht anders. Als Header für den Beitrag bei facebook dienen folgende Zahlen aus dem Atlas:

Nach Angaben des "Pestizidatlas 2022" ist die Menge weltweit eingesetzter Pestizide zwischen 1990 und 2019 um 80 Prozent gestiegen.

Nach Angaben des “Pestizidatlas 2022” ist die Menge weltweit eingesetzter Pestizide zwischen 1990 und 2019 um 80 Prozent gestiegen.

Facebookseite der Tagesschau

Nun kann ich diese Zahlen nicht nachprüfen. Sie können durchaus stimmen. Man muss dabei aber Folgendes beachten:

Unter Pestiziden versteht man nicht nur die in der Landwirtschaft und im Gartenbau eingesetzten Pflanzenschutzmittel, sondern sämtliche Biozide.
Dazu gehören unter anderem Mittel zur Parasitenbekämpfung bei Mensch und Tier, fungizide Farben und Holzschutzmittel, Desinfektionsmittel im Lebensmittelbereich und vor Allem Mittel zum Vorratsschutz. So zählen auch inerte Gase zur Bekämpfung von Vorratsschädlingen zu den Pestiziden. Darunter versteht man auch die Begasung mit CO2. In der 3. Welt verderben bis zu 30% der Lebensmittel nach Ernte durch Schädlingsfraß im Lager und es ist zu begrüßen, dass hier eine zunehmend professionellere Lagerhaltung stattfindet.

Pflanzenschutzmittel retten Menschenleben

Bei den 80% Steigerung muss man auch berücksichtigen, dass die Weltbevölkerung in der gleichen Zeit von 5,32 Mrd auf 7,71 Mrd angestiegen ist. Gleichzeitig sank die Zahl der Hungernden von 1,01 Mrd auf 690 Mio und demzufolge stieg die Zahl der sattwerdenden Menschen um 63% von 4,32 Mrd auf 7,02 Mrd. Dabei kommen auf jeden Mensch nur noch 2/3 der landwirtschaftlichen Nutzfläche gegenüber 1990. Ohne Pflanzen- und Vorratsschutz wäre dies nie erreicht worden.
Untermalt hat die Tagesschau den Beitrag mit folgender Grafik:

Pestizidrückstände in Gemüse

Ungeheuerliche Suggestion

Ich erachte dies als ungeheuerlich und als Schande für den Öffentlich Rechtlichen Rundfunk. Und will das auch begründen:

Dem unbedarften Leser wird hier suggeriert, dass unsere hiesigen („in Deutschland“) konventionellen Landwirte viel zu viel Pflanzenschutzmittel einsetzen und die Gesundheit der Konsumenten gefährden. Die Kommentare zu den Beiträgen in den sozialen Medien sind teilweise voller Hass gegen die Bauern und ich wage zu behaupten, dass es die Intention der Beitragsersteller war, diesen Hass zu schüren.
Schauen wir uns die genannte Quelle mal an:

CVUA Stuttgart: Rückstände und Kontaminanten in Frischgemüse aus konventionellem Anbau 2019

Höhere Rückstände bei Importen

Das erste, was auffällt: die Rückstandswerte sind bei Importwaren deutlich höher. Das ist aber gar nicht das Entscheidende. Die Masse der Grenzwertüberschreitungen kamen durch Chlorat.

Chlorat

Das wird von der cvua Stuttgart ausführlichst erklärt und das sollten auch die Journalisten der Tagesschau gelesen haben. An den Chloraten hat die Landwirtschaft keinerlei Schuld.
Chlorat war bis 2008 als Herbizid (Produktname „UnkrautEX“) in der EU zugelassen. Es wurde als Totalherbizid an Bahndämmen und auf Wegen eingesetzt, aber niemals bei Gemüse. Es wird auch im Ausland nicht bei Gemüse eingesetzt, weil es dieses vernichten würde. Woher kommen aber jetzt die Rückstände? Ganz einfach: Aus der Umwelt! Bewässerung, Luft, Waschwasser, Verarbeitung. Und davon ist der Biolandbau genauso betroffen.

Infokasten Chlorat
Quelle: CVUA: https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=1&ID=3149

Jetzt mögen die häufigen Grenzwertüberschreitungen überraschen. Aber auch dafür gibt’s eine Erklärung:

Für jedes Pflanzenschutzmittel werden auf wissenschaftlicher Basis spezifische Grenzwerte erstellt, die sich an internationalen Standards orientieren. Da Chlorate nicht als Pflanzenschutzmittel zugelassen waren, gab es 2019 auch noch keine abgeschlossenen toxikologischen Untersuchungen. In solchen Fällen gilt immer ein Grenzwert an der Nachweisgrenze von 0,01 mg/kg. (1 Gramm pro 100 Tonnen). 2020 waren die Untersuchungen abgeschlossen und es gelten realistische Grenzwerte für die unterschiedlichen Chlorate in Höhe von 0,05 bis 0,7mg/kg.

Die Definition „Pestizidrückstände“ der VO (EG) Nr. 396/2005 bezeichnet auch Rückstände von (ggf. nicht mehr zugelassenen) Pflanzenschutzmittelwirkstoffen in Lebensmitteln bei möglichem anderem Eintragsweg als der Anwendung als Pflanzenschutzmittel (sog. Dual-Use-Stoffe), wie etwa im Fall von Chlorat in Lebensmitteln. Somit ist im Jahr 2019 gemäß der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 ein allgemeiner Höchstgehalt von 0,01 mg/kg EU-weit gültig. Im Frühjahr 2020 wird nach jahrelanger Beratung eine Neufassung der Höchstgehalte für Chlorat in der EU rechtsgültig werden. Diese spezifischen Höchstgehalte werden je nach Lebensmittel zwischen 0,05 und 0,7 mg/kg festgesetzt.
Quelle: CVUA: https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=1&ID=3149

Nach Neufassung der Höchstwerte sinken Grenzwertüberschreitungen

Tatsächlich wurden die neuen Grenzwerte für Chlorat im cvua-Bericht 2020 berücksichtigt und somit ging die Zahl der Grenzwertüberschreitungen auch gravierend zurück:

CVUA Stuttgart: Rückstände und Kontaminanten in Frischgemüse aus konventionellem Anbau 2020

Bleibt die Frage:

Wieso bedient sich die Tagesschau den 2019er-Werten, wenn die von 2020 schon verfügbar sind?

Das könnte die Erklärung sein:

  • Feindseligkeit gegen konventionelle Landwirtschaft.
  • Boshaftigkeit.
  • Bewusstes Hass schüren.

Unzählig gemobbte Bauernkinder können ein Lied davon singen, wie sich solche Berichterstattung auswirkt. Und die Politiker lassen sich nicht mehr von der Wissenschaft, sondern von solchen lautstarken Stimmen in ihren Entscheidungen treiben.

In dem Zusammenhang noch zwei Begebenheiten aus jüngerer Zeit:

Sri Lanka beendet Importverbot für Pestizide und andere chemische Pflanzenmittel Angesichts einer Wirtschaftskrise mit sich stetig verschärfender Lebensmittelknappheit hat sich Sri Lanka von dem Ziel verabschiedet, das erste Land der Welt mit rein biologischem Anbau zu werden.
Quelle: https://www.nau.ch/news/wirtschaft/sri-lanka-beendet-importverbot-fur-pestizide-und-andere-chemische-pflanzenmittel-66049323

Und von Unicef (!!!!!!):

Die Corona-Krise erschwert die Bekämpfung der Heuschrecken zusätzlich - und es fehlt an Pestiziden Um gegen die Heuschrecken-Plage vorzugehen, ist die Bekämpfung der Heuschrecken und ihrer Larven mit Insektiziden aus der Luft das einzig wirksame Mittel.
Quelle: https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/heuschreckenplage-in-ostafrika/221286

Ob sich unsre Pflanzenschutzgegner wohl getrauen würden, nach Ostafrika zu reisen und den dortigen Menschen direkt ins Gesicht zu sagen, dass Pestizide ganz ganz schlimm sind?


Weitere Infos und Diskussionsstränge bei Twitter:

Twitter:

https://twitter.com/BlogAgrar/status/1481392214601314305?
https://twitter.com/alexander__lp/status/1481328670212034564?t=hgeYkDHn3l1EG5Rnh4SEwQ&s=19
3 comments Add yours
  1. Ich erlebe immer wieder eine Eskalation von „beiden“ Seiten.

    Einfachstes Beispiel: Es ist hier in Deutschland nicht alles gut, nur weil es woanders schlechter ist, das gilt für die Pflegesituation genau so wie für die Frage, wer wie viele und welche Pflanzenschutzmittel einsetzt.

    Und ja, eine Ökologisierung der Landwirtschaft wird zu mehr Flächenbedarf bei gleichen Erträgen führen. Aber das wird der Klimawandel ebenso wie die Dumpingpreise, damit es wirtschaftlich bleibt. Wachse oder weiche in jeder Facette. Die eine Schlußfolgerung ist die, daß „ökologisch“ ja schlechter wäre mit Blick auf Erträge pro Quadratmeter. Die andere Schlußfolgerung ist die, daß die derzeitige Landwirtschaft bereits lange Jahre auf Überlast fährt.

    Gegenhypothese:
    Wenn ein Überangebot – weil jeder immer mehr produziert, um die höheren Kosten und niedrigeren Erzeugerpreise zu kompensieren oder weil gerade etwas sehr profitabel scheint (wie einst Schweinefleisch für China) – dazu führt, daß volkswirtschaftlich die Preise nur noch mehr abstürzen (Angebot und Nachfrage), ist der beste Weg, gemeinsam die Produktion runterzufahren. Niemand würde das als Einzelner machen. Doch wenn von staatlicher Seite – zum Beispiel durch Ökologisierung – die Produktionsmenge bei allen runtergeht, erreicht man mit der Ökologisierung sogar eine Wertsteigerung für seine Erzeugnisse.

    Die wirkliche Frage ist: Wem gehören bis dahin die Felder, den Bäuerinnen und Bauern, oder ALDI und Co.?

    Pflanzenschutzmittel sind letztlich nur ein Mittel zur Produktivitätssteigerung. Doch diese wird immer eingepreist, insofern der falsche Kampf.

    Spannend sind doch eher Fragen, warum Diuron und Co. als Biozide an Hausfassaden etc. nach wie vor eingesetzt werden dürfen …

    Und zu den Grenzwerten: Mag ja sein, daß die Grenzwerte wissenschaftlichen Ursprung haben, aber genaugenommen ist es die Politik, die die Grenzwerte festlegt, nicht unbedingt immer wissenschaftlich fundiert (und bei der Wissenschaft muß man fragen, wer da die Forschung finanziert hat 😉 ).

    1. Ich hätte eigentlich eher einen Kommentar zu dem Vorgehen der Medien erwartet. Finden Sie es nicht schlimm, dass hier ausländische Rückstände und Stoffe, die gar nicht aus der Landwirtschaft stammen, den deutschen konventionellen Bauern angelastet werden?

  2. Ich lese die Inhalte des Pestizidatlas als bewusste Fehlinformationen. Hätte eine politische Randpartei ob die Minke oder die AfD sich solch einer Struktur bedient, wären die Verantwortlichen gesteinigt worden.
    …. zu Recht.

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