BlogAgrar-Herbstinterviews – Die Dritte

mit Norwich Rüße, Mitglied des Landtages in Nordrhein-Westfalen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen


Der Sommer war stressiger als geplant. Einerseits für mich, andererseits auch für gewünschte Interviewpartner. Darum geht es auch im Herbst weiter mit Interviews in weiterhin unregelmäßigen Abständen. Heute mit Norwich Rüße, der seit 2010 Mitglied des Landtages in NRW ist und Sprecher seiner Fraktion für Landwirtschaft, Natur-, Umwelt-, Tier und Verbraucherschutz ist. Da es so aussieht, dass die Grünen mit an der neuen Bundesregierung beteiligt sind, ist es vielleicht ganz spannend zu erfahren, was grüne Abgeordnete wie Norwich Rüße sich in Sachen Landwirtschaft so vorstellen können.


Guten Tag Herr Rüße! Bauern sind ja immer neugierig, was der andere “für a Sach” hat. Mögen Sie sich kurz vorstellen, wie Ihr persönlicher, betrieblicher und politischer Werdegang aussieht?

Geboren wurde ich 1966 in Burgsteinfurt im Münsterland, bin dort auf dem Hof meiner Eltern aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe anschließend Geschichte und Biologie auf Lehramt im fernen Berlin studiert. Zwar war es schön, einige Jahre in einer großen Stadt zu leben, doch dann ging es zurück in die Heimat und zurück auf den Hof. Nach dem Studium habe ich mehrere Jahre als Stipendiat und Wissenschaftlicher Volontär am Institut für Regionalgeschichte in Münster gearbeitet. Ab 2000 war ich Kreisgeschäftsführer der Steinfurter Grünen, habe zudem den Hof mitbewirtschaftet und meine beiden Töchter mitgroßgezogen. Mitglied bei den Grünen bin ich seit 1998 und war viele Jahre kommunalpolitisch aktiv. 2010 wurde ich erstmals in den Landtag gewählt, in der aktuellen Legislatur bin ich Sprecher für Landwirtschaft, Natur-, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz der Grünen Fraktion. Den Bioland-Hof in Burgsteinfurt mit 35 ha Land (davon 18 ha Acker und 17 ha Grünland), ca. 150 Schweinen (Pietrain und Bunte Bentheimer, vom Ferkel bis zur Zuchtsau) und einer Mutterkuhherde mit ca. 25 Tieren führe ich dabei leidenschaftlich gerne im Nebenerwerb weiter.


Wir “kennen” uns ja über Twitter und ich nehme Sie dort immer als angenehmen Diskussionspartner wahr. So ergeht es mir nicht mit allen Grünen. Wie sind Sie bei dieser Partei gelandet und warum wurde es genau diese und nicht eine andere?

Mit Blick auf die großen Probleme der kommenden Jahre, etwa dem Artensterben, dem Klimawandel, dem demographischen Wandel oder der Globalisierung steht für mich fest, dass wir uns erheblich mehr anstrengen müssen. Natürlich sind für mich der Strukturwandel in der Landwirtschaft und das Höfesterben zentrale politische Herausforderungen. Wie kriegt man eine Landwirtschaftspolitik hin, die viele Höfe erhält, ein Wirtschaften mit der Natur und eine gute Tierhaltung ermöglicht und die gesellschaftliche Akzeptanz wiederherstellt? Diese Fragen sind miteinander verknüpft und nur zusammen aufzulösen. Andere Parteien haben das nicht auf dem Schirm oder spielen häufig ökologische und ökonomische Belange gegeneinander aus. Mir ist aber der Gesamtzusammenhang wichtig und die Grünen haben das schon immer so gesehen. Und deshalb bin ich ganz klar bei den Grünen.

Bei den Grünen finde ich viele Punkte im Parteiprogramm, denen ich zustimme. Ich habe auch einige Freunde und Bekannte aus meiner Zeit in der KLJB, die sich bei den Grünen engagieren, die aber alle ihren Schwerpunkt nicht in der Agrarpolitik haben. Wie geht es Ihnen damit? Welche Position der Grünen unterstützen Sie zu 1000 Prozent, welche nur zu 1 Prozent?

Natürlich gibt es einzelne Themen, die ich persönlich etwas anders sehe. Das halte ich auch für vollkommen normal, denn eine Partei ist schließlich keine homogene Masse und die Programmatik wird über lange Diskussionsprozesse auf Parteitagen mehrheitlich beschlossen.
Wichtig ist mir, dass ich die Grundprinzipien der Grünen – ökologisch, sozial, demokratisch und gewaltfrei – bis heute für richtig halte. Und auch wenn die Welt sich seit 1980 verändert hat, so täte es diesem Planeten und seinen 8 Milliarden Menschen sehr gut, wenn wir alle diese Prinzipien häufiger beherzigten.

Zu 1000 Prozent stehe ich hinter unseren Positionen in Naturschutz und Landwirtschaft. Wir sind die Einzigen, die beides tatsächlich zusammenbringen wollen. Politstrategisch betrachtet wäre es vielleicht schlau, bestimmte Probleme in der Landwirtschaft nicht zu erwähnen, um die Landwirte mehr zu gewinnen, oder vielleicht Lösungen anzubieten, die besonders der eigenen Kernklientel gefallen. Aber das ist für mich keine ehrliche Politik, ich bin immer dafür, die Dinge offen anzusprechen und klar zu sagen, wofür man steht. Und am Ende wurden gerade in den letzten Jahren die agrarpolitischen Probleme immer größer und drängender, weil sie nicht ehrlich angesprochen und rechtzeitig aufgelöst worden sind.


Ich wohne ja in Bayern und kenne nichts anderes, als die CSU. Nun gibt es ja in vielen Bundesländern Grüne AgrarministerInnen und auch auf Bundesebene und in NRW gab es das schon mal. Was machen die alle besser für die Bäuerinnen und Bauern, wie bei uns das bayerische Landwirtschaftsministerium?

In Grün geführten Landwirtschaftsministerien werden auch jene Dinge behandelt, die total unangenehm sind und mit denen man trotz ihrer Relevanz in der breiten Öffentlichkeit keinen Blumentopf gewinnen kann. Wir brauchen auf der einen Seite fairere Preise und auf der anderen Seite echte Qualitätsstandards. Dem Markt und damit im Endeffekt den mächtigen Großkonzernen die Preissetzung zu überlassen und zeitgleich Betrieben nicht aus dem „Wachse oder weiche“ zu helfen, ist falsch. Allen ist bewusst, dass der stetige Pfad der Industrialisierung in der Landwirtschaft noch viele Verliererinnen und Verlierer erzeugen wird. Klassische Familienbetriebe, die mit viel Herzblut ihre Flächen bewirtschaften und ihre Tiere halten, können diesen Weg langfristig nicht mitgehen.

Für diese Problematik ist die bayerische Agrarpolitik seit Langem sehr sensibel und Bayern verfügt auch über die notwendigen Finanzmittel, hier zu unterstützen. Man muss ja nicht immer nur das Trennende betonen – an dieser Stelle haben Grüne und die bayerische Agrarpolitik durchaus ein gemeinsames Interesse. Und an der ein oder anderen Stelle – z.B. regionale Vermarktung, Ausbau Ökolandbau, ländlicher Tourismus – bin ich auch dafür, nach Bayern zu schauen und die positiven Ansätze aufzugreifen. 


Wenn die Grünen eine absolute Mehrheit im Bundestag hätten – wie würde dann eine Grüne Landwirtschaftspolitik aussehen?

Dann würden wir zeigen, dass Naturschutz und Landwirtschaft zueinander gehören und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Landwirtschaftspolitik muss zeitgleich sozial und ökologisch sein. Bäuerinnen und Bauern sollen für das, was sie für die Gesellschaft leisten, fair bezahlt werden. Das bedeutet deutlich bessere Preise für ihre Produkte und öffentliches Geld dafür, dass sie in Zukunft noch mehr Rücksicht auf Natur und Umwelt nehmen.

Wir wollen Bäuerinnen und Bauern dabei unterstützen, aus der Wachstumsspirale herauszukommen und auch kleineren Betrieben wieder eine Perspektive bieten. Wir sollten künftig nicht mehr auf dem Weltmarkt um den billigsten Preis konkurrieren. Die Stärken unserer Betriebe liegen in Zukunft in einer sehr hohen Produktqualität, optimalen Haltungsstandards und einem vielfältigen Ackerbau, der für eine artenreiche Kulturlandschaft sorgt. Dafür braucht die Landwirtschaft die Solidarität der Bevölkerung. Zum einen durch den Kauf heimischer Produkte, zum anderen die finanzielle Unterstützung über weitere Steuergelder, insbesondere beim Umbau der Tierhaltung und der Umsetzung des Borchert-Plans.
Die Produkte einer solchen Landwirtschaft sind für den Weltmarkt viel zu schade – wir wollen sie mehr und mehr wieder in die regionale Vermarktung bringen und vor allem auch in die Mensen und Kantinen unserer Schulen, Kitas und Verwaltungen. Die Schiene der Außer-Haus-Verpflegung wird immer wichtiger. Hier gilt es, dass die Landwirtschaft in den kommenden Jahren unbedingt einen Fuß (und auch etwas mehr) in die Tür bekommt, damit dieses wichtige Geschäftsfeld nicht von fünf oder sechs großen Konzernen deutschlandweit besetzt wird und unsere Bäuerinnen und Bauern wieder nur die Lieferanten billiger Rohstoffe sind.

Ich bin für mein Leben gerne Bauer. Aber nicht zu jedem Preis. Zum Beispiel will ich gerne weiter von der Tierhaltung leben, wenn möglich von meinen Schweinen. Und ich will nicht Chefausmister werden. Hab ich mit dieser Einstellung einen Platz in der grünen Zukunftsvision einer deutschen Landwirtschaft? Und wie kann man Ihrer Meinung nach möglichst viele Höfe, die derzeit ihre Wertschöpfung durch intensive Tierhaltung erzielen, erhalten?

Zunächst einmal ist die Frage, ob Ausmisten Spaß macht, von zwei Faktoren abhängig. Zum einen davon, ob die Technik stimmt, denn Haltung auf Stroh ist ja heute etwas anderes als vor 70 Jahren. Zum anderen aber davon, ob ich überhaupt angemessen für meine Arbeit entlohnt werde. Bei Schweinepreisen von 1,25 Euro/kg erübrigt sich eine weitere Diskussion. Insofern würde ich lieber 1000 Schweine auf Stroh halten wollen, wenn dann der Preis bei 2,50 Euro/kg liegt, als 5000 Schweine auf Vollspalten für 1,50 Euro/kg.

Und am Ende ist der Umbau der Tierhaltung auch eine Chance, endlich wieder den gesellschaftlichen Konsens herzustellen und gleichzeitig wieder mehr Zeit für das einzelne Tier zu haben. Jeder Skandal der Vergangenheit in Großmastanlagen, bei Tiertransporten oder am Schlachthof war das Ergebnis der restlosen Ökonomisierung der Tierhaltung und führt am Ende nur dazu, dass immer mehr Menschen sich davon abwenden. Das WBA-Gutachten 2015 und der Borchert-Plan sind meines Erachtens eine große Chance, die Wachstumsspirale zu brechen. Dazu gehört aber zwingend(!) ein Umbauprogramm, das gerade mittlere und kleine Betriebe gezielt in den Blick nimmt und nicht – wie sonst üblich – sich ausschließlich an das obere Viertel der Betriebe und die Vollerwerbler wendet.

Auf vielen Höfen gibt es leider keine HofnachfolgerInnen. Aber es gäbe auch viele, bei denen die Jugend in den Startlöchern steht. In der Wirtschaft sind Kinder von Bauernfamilien gefragt und werden gerne genommen. Wie überzeugen Sie diese, in den elterlichen Hof einzusteigen?

Eine ehrliche Antwort auf diese Frage ist schmerzhaft, aber es gibt Höfe, bei denen Kinder sehr gute Gründe haben, diese nicht zu übernehmen. Sie haben in ihrer Kindheit ja miterlebt, welche Schattenseiten der Beruf mit sich bringt. Die Nähe zum Tier, die Unabhängigkeit, das Landleben und die praktische Arbeit, bei der man sieht, dass man tatsächlich richtig was leistet, sind die schönen Seiten. Aber der stetig wachsende Anteil an Schreibtischkram, die Abhängigkeit vom Abnehmer, der Zwang, wachsen zu müssen, die Arbeitszeiten und die Herausforderung, das übernommene Konzept nicht ändern zu können, weil noch immer Kredite laufen und wieder investiert werden muss, während andere Dinge noch nicht abgeschrieben sind, sind abschreckend. Wir werden es der nächsten Generation nur schmackhaft machen können, Höfe zu übernehmen, wenn wir diese bekannten Probleme lösen und ihnen die Möglichkeit geben, Sachen anders zu machen. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass die Landwirtschaft sich ein größeres Stück aus dem Kuchen der Wertschöpfungskette zurückholt. Ein Einstieg in die Direktvermarktung, der Umstieg auf Bio, die Gründung einer kleinen regionalen Genossenschaftsmolkerei wären hier mögliche Ansätze.
Gerade mit Blick auf kleinere Vollerwerbsbetriebe ist aber auch der Übergang in den Nebenerwerb eine Option, die man ganz bewusst erwägen sollte. Denn das ist kein Abstieg, sondern manchmal auch die Rückgewinnung der einzelbetrieblichen Handlungsfreiheit.

Herr Rüße, vielen Dank für das Interview und die ehrlichen Antworten!

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