“Kühe werden nicht geschlachtet, weil sie tragend sind!”
In diesem Artikel möchte ich auf die gestrige Sendung von “REPORT Mainz” Bezug nehmen, in der es u.a. auch um Schlachtungen tragender Kühe ging.
Ein Sendebeitrag, der viele Verbraucher irritierte und erschütterte. Ich selber habe keinen Hof mit Kühen- deshalb bin ich bei diesem Thema nicht der große Experte. Aber ich sehe es wie der Bauernverband Schleswig-Holstein, der das Schlachten von hochtragenden Kühen nicht als Kavaliersdelikt ansieht:
Bereits im Dezember 2014 hatte der Bauernverband sich mit dem Kieler Landwirtschaftsministerium
1. Es besteht kein gesetzlicher Schutz ungeborener Kälber. Auf Basis des gegenwärtigen Stands der Fachliteratur wird festgelegt, dass Schlachtungen trächtiger Rinder und gezielte Aborte im letzten Drittel der Trächtigkeit grundsätzlich nicht erfolgen dürfen.
2. Bei anstehenden Schlachtungen sind diejenigen weiblichen Rinder, die zeitweise gemeinsam mit Bullen gehalten oder künstlich besamt worden sind, obligatorisch einer geeigneten Trächtigkeitsuntersuchung zu unterziehen. Bei Feststellung einer Trächtigkeit im letzten Drittel ist zunächst die Ge-burt abzuwarten.
3. Bei Feststellung einer Trächtigkeit im letzten Drittel im Laufe des Schlachtvorganges ist durch die Schlachtstätte der Ursprungsbetrieb über den Verstoß gegen den Landeskodex zu informieren. Zusätzlich ist das für den Ursprungsbetrieb zuständige Veterinäramt vom Schlachtbetrieb hierüber zu unterrichten. Im Wiederholungsfall soll eine Sanktionierung durch das zuständige Veterinäramt erfolgen.
Zu den Bildern, die bei REPORT Mainz zu sehen waren, lieferte mir Nadine Henke, Tierärztin, Sauenhalterin und tragende Säule bei “Frag den Landwirt“, folgende Erläuterung:
Einen Tag lang filmte Report Mainz auf einem der größten Rinderschlachthöfe des Tönnies-Konzerns in Wilhelmshaven und beobachten dabei ebenfalls die Schlachtung von 70 Milchkühen. Es wird kritisiert, dass viele abgemagert sind. Man sieht im Beitrag zum größten Teil Tiere der Rasse Holstein-Friesian, die von Haus aus eben keine Fleischrasse ist. Es handelt sich um eine großrahmige Hochleistungskuh mit genetischer Ausrichtung auf Milchproduktion, d.h. diese Kühe haben wenig Fleisch und wenig Fett. Dementsprechend sehen die Tiere halt auch nach einer abgeschlossenen Laktation aus, man kann diese Tiere schlichtweg nicht fett füttern. Es ist vergleichbar mit Windhunden, die auch niemals wie Bernhardiner aussehen werden.
Es werden Tiere gezeigt, die Verletzungen bzw. offene Wunden haben. Diese sind allerdings ganz frische Schürfwunden, die durch den Transport bzw. das Auf- und Abladen entstanden sein können, was sich leider nie so ganz verhindern lassen wird.
Unter den Tieren, die an diesem Tag geschlachtet wurden, befindet sich auch eine trächtige Kuh. Der Tierschutzbeauftragte des Schlachthofes schneidet den Fetus aus der Gebärmutter. Es wird die Schädel-Steiß-Länge bestimmt, nur leider nicht benannt, so dass das Alter des Fötus bzw. das Trächtigkeitsstadium der Kuh nicht geschätzt werden kann.
Man teilt die Trächtigkeit einer Kuh in drei Trächtigkeitsdrittel auf:
Das 1. Drittel geht von der Befruchtung bis zum 90. Trächtigkeitstag. Ein Fetus ist in diesem Bereich noch nicht lebensfähig, alleine wegen der nicht stattfindenden Atmung.
Das zweite Drittel geht vom 90.-180. Trächtigkeitstag. Ein Kalb, welches im zweiten Trächtigkeitsdrittel geboren werden würde, wäre auch noch nicht lebensfähig, da die Organe (v.a. die Lunge) noch nicht ausgereift sind und die Blutbildung noch nicht abgeschlossen ist.
Über das letzte Trächtigkeitsdrittel spricht man ab dem 180. Tag der Trächtigkeit. Ab etwa der Mitte des Drittels wird eine Lebensfähigkeit immer wahrscheinlicher. Auch wenn das Kalb nicht auf längere Sicht lebensfähig wäre, wird es zunächst Atemversuche unternehmen. Es würde dann möglicherweise qualvoll ersticken, weil noch nicht genügend Surfaktant gebildet wurde, um die Lunge funktionsfähig zu erhalten.
Ein genauer Zeitpunkt zur Lebensfähigkeit des Kalbes kann nicht sicher angegeben werden. Auch wenn ein Schmerzempfinden des Kalbes vor der Geburt nicht gesichert ist und von einigen Autoren als fraglich angesehen wird (MELLOR et al. 2007), kann es nach aktuellem Kenntnisstand nicht ausgeschlossen werden. Im Sinne des vorbeugenden Tierschutzes ist ein möglicher Schmerz zu vermeiden. Daher sollte eine reguläre Schlachtung des Muttertieres spätestens ab Beginn des letzten Trächtigkeitsdrittels nicht mehr erfolgen.
Abschließend möchte ich ein ganz großes Fragezeichen hinsichtlich der von “REPORT Mainz” postulierten Zahl von 180000(?) Fällen setzen.
Eine von Bündnis 90/ Die Grünen bereitgestellte Publikation eines Fachgespräches mit Dr. Kai Braunmiller von der Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene, Tierschutz und Verbraucherschutz geht von ca. 16800 getöteten lebensfähigen Kälbern aus.
Auch wenn sich die Schlachtung von hochtragenden Kühen nicht 100prozentig vermeiden lassen wird, müssen die Fallzahlen gesenkt werden- keine Frage! Ich hoffe, der Beitrag von Report Mainz sorgt für eine weitere Sensibilisierung im Berufsstand.
Für die Bürger und Verbraucher, möchte ich noch einmal betonen:
Kühe werden nicht geschlachtet, weil sie tragend sind!
Guten Tag,
zu Ihrer Information: Autoren aus Human- und Veterinärmedizin weisen darauf hin, dass Feten im Mutterleib durch physiologische biochemische Prozesse in einem schlafähnlichen Zustand gehalten werden, so dass ein bewusstes Empfinden von Schmerzen nicht gegeben ist (3,4,9). Das Empfinden von Schmerzen setzt immer auch ein bewusstes Empfinden voraus (1). Der fetale Kreislauf ist durch einen geringen Sauerstoffgehalt gekennzeichnet. Es zirkulieren Hormone wie Progesteron und plazentale Faktoren, die Aktivitäten wie die Atmung und das „Erwachen“ verhindern (9). Erst die Geburt und das Einsetzen der Atmung mit steigenden Sauerstoffgehalten im Kreislauf leitet ein Erwachen ein (10).
mehr hier: http://www.animal-health-online.de/gross/?p=30245
mfg
ms
180.00 oder 13.000? 0,75 Prozent oder zehn Prozent? Wie hoch ist der Anteil gravider Tiere unter den jährlich 1,76 Mio weiblichen Rindern am Schlachthof wirklich? Neue Zahlen lassen das Problem “geringer” erscheinen. Doch wie sind sie einzuordnen? Ein Versuch von “Wir sind Tierarzt”:
http://www.wir-sind-tierarzt.de/2015/09/zahlenstreit-ueber-die-schlachtung-gravider-rinder/