Gedanken zu “Ein Hof und elf Geschwister”

“Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben” von Ewald Frie

Vor einigen Monaten hab ich das Buch von Ewald Frie über seinen elterlichen Hof gelesen. Und nun, im November, habe ich endlich die Zeit, darüber zu schreiben. Zwischendurch hab ich es meiner Mutter gegeben zum Lesen und um ein erstes Fazit schon vorwegzunehmen, wir war uns beide einig: “So wars!”

Ewald Frie ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen und hat seine zehn Geschwister, geboren zwischen 1944 und 1969, gefragt, wie sie diese Zeit erlebt haben.

Ich habe vor einiger Zeit in meine Hofgeschichte zurückgeblickt (Früher war alles besser?) und sehe, obwohl ich eine andere Generation bin, durchaus Parallelen. Beziehungsweise kann ich mich in die Geschichten der älteren Geschwister reinfühlen, weil das den Erzählungen meiner Eltern ähnelt und bei den jüngeren Geschwistern sehe ich Ähnlichkeiten, wie meine Geschwister und ich aufgewachsen sind.

Natürlich gibt es einige regionale Unterschiede zwischen dem Münsterland, wo der Hof der Familie Frie steht und meiner Heimatregion Oberbayern. Aber die Zucht, die in den 50ern und 60ern beim Vater und den beiden älteren Brüdern von Ewald Frie viel Platz einnahm, ist bei mir in Mühldorf am Inn, einem Zentrum für Rinder- und Schweinezucht, sehr gut nachvollziehbar.

Bauernstolz

Wenn ich in dem Buch lese, wie sie auf Rinderzuchtschauen in ganz Deutschland reisen, ist hier der ganze Bauernstolz in der Nachkriegszeit präsent. Ich durfte als Vorsitzender dieses Jahr 60 Jahre Fleischerzeugerring Mühldorf-Traunstein feiern und schmökerte da in den Annalen des Vereins. Auch hier strömt aus jeder Pore der Aufbruch nach dem Krieg, seinen Hof nach vorne zu bringen, Tiere mit hervorragenden Zuchtleistungen zu züchten und der Stolz, wenn diese Tiere dann prämiert wurden. Auszeichnungen, die man im Hausflur aufgehängt hat.

Vom Pferd zum Traktor

Auch der technische Wandel spielt eine große Rolle in dem Buch. Wie sehr er die Arbeit auf den Höfen erleichtert hat. Aber auch, dass die Pferde vom Hof gingen, dass man keine Knechte mehr brauchte. Auf dem Hof der Familie Frie halfen erst noch junge Frauen und Männer aus der Umgebung in Haus und Hof mit. Später dann die älteren Kinder. Bei uns auf dem Hof waren nach dem Krieg die Flüchtlinge da, die mithalfen und teils auch als Knechte längere Zeit mitarbeiteten. Dann musste es auch, wie im Münsterland ohne Fremdarbeitskräfte gehen. Ställe wurden gebaut, bei den Fries kamen nach der Hofübergabe die Kühe weg und ein Schweinestall wurde gebaut. Spezialisierung. Gefühlt eher, wie in meiner Gegend. Wir haben erst 2001 die Kühe weg gegeben und uns auf Ferkelerzeugung spezialisiert.

Die Unterschiede, die es zwischen der bäuerlichen Bevölkerung und den “Anderen” im Dorf gab, und dass man miteinander nichts zu tun hat, fand ich auch spannend. In Nottuln kam noch dazu, dass sich dort viele Flüchtlinge, einige davon evangelisch, angesiedelt haben. Ich überlege gerade, ob das bei uns eine Rolle gespielt hat? Die Flüchtlinge, die auf den Höfen untergebracht waren, zogen bei uns nach einiger Zeit fast alle in die neu gegründete Siedlung, später Stadt, Waldkraiburg. Und ich merke das heute noch oft, dass wir miteinander nicht viel zu tun haben. Und als Kind und Jugendlicher ist mir schon auch oft aufgefallen, dass ältere Bauern mit den bei uns nur sehr spärlich vorhandenen Dorfbewohnern nicht so viel zu tun gehabt haben. Ich denke, wenn man die Stammbäume aller Höfe meines Dorfes durchschauen wird, werden dort nur äußerst wenige Ahnen dabei sein, die nicht auch von einem Hof stammten. Man blieb unter sich.

Auch Glaube und kirchliche Jugendarbeit haben sich verändert

Auch ein Kapitel, was ich als ehemaliger KLJBler gut nachvollziehen kann, sind die Erzählungen davon, wie Glaube gelebt wurde und wie die Katholische Landjugendbewegung die mittleren Geschwister beeinflusst hat. Auch hier hat sich über die Jahrzehnte auch erheblich was getan und in meiner aktiven Zeit als Landjugendlicher hat man oftmals die Geschichten der “Ehemaligen” gehört, die von den 70ern und 80ern erzählt haben und wie revolutionär zu der Zeit die Jugendarbeit war. Das spürt man auch in den Erzählungen der Geschwistern, wie man dadurch über den Tellerrand der eigenen Pfarrei blicken konnte und neue Chancen und Möglichkeiten als Landei entdeckte.

Die Landjugend dort gibts immer noch!

Weltenwandel

… nennt Ewald Fries bei der Verleihung zum Deutschen Sachbuchpreis die Jahrzehnte seit dem 2. Weltkrieg. Von einer Landwirtschaft, die damals dem Mittelalter näher war, als unserer heutigen Zeit. Der Hof, den sein Bruder Hermann noch bewirtschaftet wurde, ist mittlerweile verpachtet. Es wird im Buch nur kurz erwähnt, dass er zu klein war für eine weitere Bewirtschaftung durch eines der Kinder von Hermann Fries. Er nennt die Chancen, die die 11 Geschwister hatten, die es eine Generation davor so noch nicht gegeben hätte. Ich sehe es einerseits auch so, dass es gut ist, dass in unserer Gesellschaft heutzutage jeder machen kann, was er oder sie will. Niemand muss mehr Bauer werden. Die Nachgeborenen müssen nicht mehr hoffen, irgendwo eine Bauerstochter oder Bauerssohn zu ergattern, die den Hof erben. Weil sie sonst bis zum Lebensende als Knechte oder Mägde arbeiten müssen.

Aber dieser Wandel, dass so viele Höfe nach hunderten Jahren die Bewirtschaftung aufgegeben haben, und immer noch aufgeben, macht mich einfach immer wieder traurig. Im Buch wird auch sehr schön dargestellt, wie sich die “Ordnung” auch auf dem Land von einer durch Bauern dominierten Kultur hin zu einer Gesellschaft, in der Bauernfamilien in der Minderheit sind, gewandelt hat. In meiner Grundschulzeit waren die Bauernkinder noch ca. die Hälfte der Klasse, meine Kinder dagegen sind die Einzigen.

Und mal wieder schließe ich mit den Worten:

Früher war nicht alles besser, aber trotzdem schmerzt es, zu wissen, dass diese Hochzeit des Bauernstandes unwiederbringlich vorbei ist. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken und sein Glück außerhalb der Landwirtschaft zu suchen, sollte man sich meiner Meinung nach rückbesinnen auf dass, was unsere Vorfahren im Kern gemacht haben: Selbständig sein. Herr (oder Frau) auf dem eigenen Hof zu sein. Dafür brauchte es 1950 andere Wege wie 1900, 1980 andere wie 1960 und 2023 wieder andere.

Seien wir alle #Zukunftsbauern und gestalten wir unsere Zukunft auf unseren Höfen. Bewahren wir die Leistungen unserer Vorfahren im Gedächtnis und schrecken aber nicht davor zurück, Landwirtschaft neu zu denken.

Und kauft das Buch: https://www.chbeck.de/frie-hof-elf-geschwister/

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