Was ist Wildnis?

Am Sonntag war ich auf einer Filmvorführung des örtlichen Bund Naturschutzes im Kino. Gezeigt wurde der neue Film des Biologen und Naturfilmer Jan Haft. Hier ein Link zu einem 6-minütigen Portrait des Films auf tagesschau.de.

Der Film spielt an mehreren Orten in Europa. Er beginnt in Norwegen, wo er kurz die Frage aufwirft, ob dort, an abgelegenen, menschenleeren Gegenden Windräder stehen sollten oder nicht. Hauptsächlich geht es aber um Weideprojekte in Deutschland. Eines davon von einem Landwirtsehepaar aus meiner Gemeinde.

Beweidung sorgt für Artenvielfalt

Hauptaussage des Films und was danach auch in der Diskussion von Jan Haft immer wieder betont wurde und auch in dem Tagesschau-Clip die zentrale Message ist: Biodiversität schafft man nur mit Beweidung bzw. Bewirtschaftung. Da es bei uns keine wildlebenden Tiere wie den Auerochsen o. ä. mehr gibt, braucht es Nutztiere, die wir auf Naturschutzflächen lassen, um dort mehr Artenvielfalt zu schaffen. Immer wieder wird gezeigt, wie wichtig der Dung der Tiere ist. Mir ist da gleich die Krefelder Studie zum angeblichen Insektensterben eingefallen. Diese Studie wurde in Schutzgebieten durchgeführt. Und was fehlt da? Genau. Tierischer Dung. Nach der Veröffentlichung wurde von einigen Landwirten bestätigt, die in der Nähe der erwähnten Schutzgebiete ihren Hof haben, dass dort aus Naturschutzgründen keine Düngung und auch keine Weidetierhaltung mehr erlaubt war. Der Boden sollte künstlich nährstoffarm gehalten werden, damit so bestimmte Arten ohne Konkurrenz wachsen können. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht. Vielleicht schützt man dadurch seltene Pflanzenarten, aber eine Fülle, die Masse an Arten wird man dadurch nicht erwarten können. Bernhard hat damals in diesem Blog etwas dazu geschrieben: https://blogagrar.de/naturschutz/gedanken-zum-insektensterben/

Wasserbüffel des “Reiserer-Hofs” in Oberneukirchen

Nationalparks beweiden

Auch einen Nationalpark Bayerischer Wald, in dem die Natur sich selbst überlassen wird, sieht Jan Haft kritisch. Weil am Ende nur Wald entsteht, der dicht zuwächst und nur noch Buchen und Tannen Überlebenschancen bietet. Würde dieser Wald beweidet, würden mehr Licht auf den Boden treffen und so mehr Arten Platz bieten. Je Hektar ein Rind (oder Pferd) würde bedeuten, dass man bei 25000 Hektar Nationalpark 25000 Großvieheinheiten zur Beweidung bräuchte.

Teichwirtschaft in der Oberpfalz

Im Film gab es auch ein Kapitel über Franz Kühn, Teichwirt in Tirschenreuth in der Oberpfalz. Auch er stelle sehr schön dar, dass Artenvielfalt durch die Bewirtschaftung und Pflege entsteht. Wenn man unter Wildnis versteht, dass man alles sich selbst überlässt, hat man eben die negativen Effekte. Er zeigt auf, dass bei ihm nicht trotz, sondern aufgrund der Teichwirtschaft eine Vielzahl von Arten ihre Heimat gefunden haben, die es sonst in der Oberpfalz gar nicht mehr gäbe.

Rausgeschnitten?

Ich saß nun im Kino und dachte mir, der Teichwirt jetzt über die Probleme des Fischotters berichten würde. Leider kam darüber nichts und ich habe den Verdacht, dass diese Thematik dem Schnitt zum Opfer gefallen ist. Franz Kühn war aber dazu mal im Bayerischen Rundfunk und darum könnt ihr hier mal reinschauen: https://www.br.de/nachrichten/bayern/fischotter-entnahme-erlaubt-aber-nur-wenig-praktikabel,TlmqZ7v

Eine Entnahme ist seit Kurzem in Bayern erlaubt, aber in nur sehr geringem Maße. Der Bund Naturschutz, der diesen Film ja präsentiert hat, ist hier übrigens gegen eine Entnahme.

“Schützen durch Nützen”

An diesem Beispiel will ich erklären, warum wir eben diese veränderte, ja fast revolutionäre Sichtweise von Jan Haft in Sachen Naturschutz weiterdenken müssen: Wenn wir also den Teichwirten nicht ermöglichen, sich gegen den Fischotter zu wehren, dann werden sie über kurz oder lang die Teichwirtschaft einstellen, weil es sich finanziell nicht mehr lohnt. Diese Kulturlandschaft wächst dann zu und Artenvielfalt geht verloren. Ihr müsst wirklich diesen Film alleine deswegen anschauen, wie schön diese Teichlandschaft aus der Luft aussieht!

Auch Jan Haft stellt immer wieder heraus, wie viel ökonomischer seine Art des Naturschutzes wäre. Jahrzehnte hat man mit viel Manpower und hohem finanziellen Aufwand Naturschutzflächen gepflegt. Wenn dies alles Tiere übernehmen würden, bräuchte man keine Maschinen und Menschen mehr dafür und kann am Ende noch das Fleisch der Tiere verwerten. Dies war auch eine seiner Aussagen nach dem Film: “Esst Fleisch von Tieren, die davor Naturschutzflächen abgegrast haben!”

Rettet Berta

Ich habe dann einen weiteren Aspekt in die Diskussion mit eingebracht: Sollte man nicht versuchen, die 13000 Betriebe in Bayern, die Anbindehaltung (“Rettet Berta“) betreiben, zu erhalten, in dem man ihnen die Möglichkeit schafft, auf Kombihaltung umzustellen? 1000 Biobetriebe in Bayern sind “Kombihalter” und brauchen eine Perspektive, die ihnen Cem Özdemir anscheinend nicht mehr langfristig bieten will. Auf den Almen und Alpen gibt es wie eh und je Kombihaltung durch die Beweidung der Almwiesen und dadurch wird Artenvielfalt erhalten, die es nicht mehr gäbe, wenn die Berge zuwachsen würden. Denn eine Rolle Rückwärts zur Wildnis hört sich vielleicht schön an, ist aber nicht mehr möglich, weil wir Menschen immer in irgend einer Art und Weise Einfluss nehmen.

Quo Vadis Naturschutz

Ich bin gespannt, wie die Naturschutzverbände diese Idee diskutieren. Denn ich sehe hier zwei unterschiedliche Richtungen, in denen es hier geht:

  1. Konventioneller Naturschutz: Ausgleichsfläche XY der Gemeinde XY wird zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr gemäht, das Material wird abgefahren, evtl. werden noch Streuobstbäume gepflanzt, eine Magerwiese ist das Ziel.
  2. Naturschutz neu gedacht: Tiere beweiden Wiesen und teilweise auch Wälder. Dem Staat kostet dies deutlich weniger, weil LandwirtInnen durch die Bewirtschaftung ein Einkommen erzielen. Durch den Verkauf von Fleisch, aber auch von Milch, wenn man Milchkühe auf die Weide lässt. Oder Milchziegen usw.. Hier braucht es dann aber auch entsprechende Eingriffe, um den LandwirtInnen diese Bewirtschaftung zu ermöglichen. Fischotter, Kormorane, Wölfe, oder wenn es um eine naturnahe Waldbewirtschaftung geht, auch Rehe müssen dementsprechend entnommen werden.

Ich bin begeistert von der Idee. Was könnte man an öffentlichen Geldern sparen. Was könnten dadurch Einkommensmöglichkeiten und Perspektiven für die Betriebe entstehen, die jetzt mit der Anbindehaltung vor dem Aus stehen! Warum hilft man nicht Teichwirten oder Almbauern mit geringem finanziellen Aufwand? Stattdessen nimmt man in Kauf, dass, wenn es so weiter geht, über kurz oder lang staatliche Landschaftspfleger die Flächen pflegen müssen – wenn man sie überhaupt in dem Zustand erhalten will.

Wenn ich sehe, was aktuell jetzt schon für ein (finanzieller) Aufwand betrieben wird, Kleinstflächen zu pflegen, finde ich die Perspektive, großflächig in Deutschland Naturschutz neu zu denken, genial. Ich glaube, wenn sich Naturschutzverbände, Landwirtschaft und Politik dazu mal zusammen setzen würden, könnte man enorm was bewegen. Packen wir es an!

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