Ernährungssicherheit: zurück in die Zukunft?

Vor ziemlich genau 100 Jahren dominierten Schlagzeilen die Lokalpresse im Raum Lingen (Emsland), die heute kaum vorstellbar sind und hoffentlich nie wieder aktuell werden. Aber vielleicht müssen wir gelegentlich zurückblicken, um etwas klarer nach vorne zu schauen und die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Die aktuellen Berichte über die Empfehlung von Hamsterkäufen und Bauernhof-Beschlagnahmungen für künftige Krisenszenarien bekommen so einen historischen Hintergrund:

Ich zitiere hier einige Meldungen des Monats August 1916 der Lingener Lokalzeitungen:

(c) Stadtarchiv Lingen
(c) Stadtarchiv Lingen

5. August: „Die Brennessel ist der bedeutendste inländische Ersatz für die uns fehlende Baumwolle. (…) Ich bitte deswegen, die Grundbesitzer des Kreises, sämtliche auf ihren Grundstücken vorkommenden und zu Spinnzwecken geeigneten Brennesseln zu sammeln (…). Für (…) getrocknete Brennesselstengel zahle ich (…) 6 ½ Pfennig pro Pfund. (…) Godfried Kercckhoff.“ (LV)

9. Aug: „Der Stadtgemeinde Lingen wird die Regelung des Verbrauchs für den Stadtbezirk übertragen. (…) Die Entnahme von Brot und Mehl in der Stadt Lingen ist nur den Einwohnern der Landgemeinden Altenlingen, Brögbern, Brockhausen, Darme, Elbergen, Estringen, Holthausen und Laxten (…) gestattet. Für den Kreis ist eine Mehlverteilungsstelle (…) (A. Klukkert in Lingen) errichtet. (…) Auf Wunsch erhält jeder Brotkartenempfänger zu Reisen außerhalb des Kreises bis zu 3 Wochen Dauer Reisebrothefte.“ (LV)

12. August: „Der Kaninchenzuchtverein für Lingen und Umgebung veranstaltet am Sonntag, den 20. August d.J. seine 3. lokale Ausstellung im Gartenlokal des Herrn Bergen. (…) Trägt doch die Kaninchenhaltung dazu bei, den jetzt herrschenden Mangel an wohlschmeckendem Fleisch und Fett abzuhelfen. Wenn auch die Kaninchenhaltung in letzter Zeit einen großen Aufschwung genommen hat, so soll doch die Ausstellung dazu beitragen, immer mehr Liebhaber für die Zucht zu gewinnen.“ (LV)

13. August: „Ährensammeln durch Schulkinder. Auf Wunsch der Königl. Regierung werden die Schulkinder unter Aufsicht der Lehrpersonen auf den abgeernteten Roggenfeldern Ähren sammeln. Der Erlös ist zu wohltätigen Zwecken bestimmt. Falls jemand wünscht, daß seine Roggenäcker nicht betreten werden sollen, wolle er diese durch einen nach der Wegseite hin aufgestellten Strohwisch kenntlich machen.“ (LW)

(c) Stadtarchiv Lingen
(c) Stadtarchiv Lingen

16. August: „Auf den Hausgrundstücken Kanalgasse Nr. 11 und Am neuen Wall Nr. 11 hierselbst ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. (…) Das Sperrgebiet bilden die Straßen ‚Kanalgasse‘ und ‚Am neuen Wall‘. (…) Personen, die gewerbsmäßig in Ställen verkehren, (…) ist das Betreten (…) verboten. (…) Dünger und Jauche von Klauenvieh, ferner Gerätschaften und Gegenstände aller Art, die mit solchem Vieh in Berührung gekommen sind, dürfen aus dem Sperrbezirke nur mit ortspolizeilicher Erlaubnis (…) ausgeführt werden.“ (LV)

23. August: „Allgemeine Lebensmittel-Bestandsaufnahme am 1. September 1916. (…) Die Vordrucke sind (…) wahrheitsgemäß ausgefüllt und vom Haushaltsvorstande unterschrieben im Rathaussaale abzuliefern.“ (LW)

27. August: „Regelung der Fleischversorgung in der Stadt Lingen. (…) Das gesamte (…) Schlachtvieh wird der hiesigen Schlachter-Innung überwiesen, welche dieses Vieh (…) an die hiesigen Schlachter zum Weiterverkaufe an die Verbraucher verteilt. Die Schlachter haben bis Freitags Mittags (…) auf dem Polizeibüro das (…) Schlachtgewicht anzuzeigen. (…) Hierauf wird die auf den Kopf der fleischversorgungsberechtigten Bevölkerung für die betreffende Woche entfallende Gewichtsmenge magistratsseitig festgesetzt und den Schlachtermeistern mitgeteilt. (…) (Es) wird jedem Versorgungsberechtigten eine Fleischkarte verabfolgt. Wieviel Fleisch für eine Woche auf den Kopf der Bervölkerung (…) zur Verteilung gelangt, ist von den Schlachtern in jeder Woche sofort nach der magistratsseitigen Mitteilung (…) durch Aushang bekannt zu geben.“ (LW)

Aus dem Lingener Volksboten (LV) und dem Lingenschen Wochenblatt (LW).
Die Zeitungen sind einsehbar im Stadtarchiv Lingen, Baccumer Str. 22, 49808 Lingen (Ems). www.stadtarchiv-lingen.de

In diesem Zusammenhang noch ein lesenswerter Artikel aus NZZ vom 4. August 2016, der hier auch ganz gut reinpasst:

Miserable Weizenernte im Kanton Zürich

Wer ist schuld an der Missernte?

einige Zitate:

Vor 150 Jahren hätte eine solche Missernte ein Hungerjahr bedeutet, sagt Haab, jetzt müsse halt stärker auf das Ausland gesetzt werden. Dies sei die Quittung dafür, dass Bauern mit Beiträgen vom Bund im Rahmen des Extenso-Programms und mit IP-Suisse-Geldern davon abgehalten würden, ihre Weizen wirksam vor Pilzbefall zu schützen.

«Wer in der Sammelstelle Extenso-Weizen und solchen aus konventioneller Produktion sieht, wird sich klar für Letzteren entscheiden.» Wegen der schlechten Ernte geht auch Häusler davon aus, dass mehr als üblich importiert werden muss.

Und zu Guter Letzt: Bauer Willi berichtete gestern von einer Hungersnot, die vor 200 Jahren ihren lauf nahm: Hungersnot 2016

Ich glaube, wir sollten uns unserer Versorgung nie zu Sicher sein! Wenn es eng wird, kommt es auf die Bauern an!

 

2 comments Add yours
  1. Gut wie Sie auf die Themen eingegangen sind. Fand es besser wenn Sie besser veranschaulichen würden, wo Emsland liegt. Damit konnte ich leider nichts anfangen.

    goo.gl/Uie9YS

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