Bye, bye, Bio

Steigende Lebensmittelpreise haben die Diskussion über Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft neu entfacht. Dabei war eine einseitige Förderpolitik für mehr „Bio“ schon vorher falsch – und zwar aus ökologischen Gründen. Will der Landwirtschaftsminister mehr Nachhaltigkeit, müsste er eher auf die Abschaffung des Bio-Siegels hinarbeiten.

Von Martin Rücker

Durch Putins Angriffskrieg in der Ukraine steigen die Getreide- und Speiseölpreise. Gehörig unter Druck geraten ist deshalb eine Politik, die aus ökologischen Gründen auf Extensivierung setzt und damit niedrigere Erträge in Kauf nimmt. Die Grünen haben sie mit dem Ziel 30 Prozent Ökolandbau auf den Feldern bis 2030 in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, ihr Agrarminister Cem Özdemir will sogar den Marktanteil von Bio im Supermarkt im selben Zeitraum von derzeit gut 6 auf ebenfalls 30 Prozent anheben. Weil aber der Krieg Nahrungsmittel verknappt – was sich vor allem in anderen Erdteilen dramatisch auswirkt –, keimen neue Zweifel an der Extensivierungsstrategie. 

Was dabei untergeht: Der einseitige Fokus auf eine Förderung der Öko-Branche war bereits vor dem Krieg falsch, und zwar aus ökologischen Gründen. Wollte der grüne Landwirtschaftsminister mehr Nachhaltigkeit durchsetzen, wäre er besser beraten, die Abschaffung des Bio-Labels vorzubereiten. 

Das Bio-Label hat seine Schuldigkeit getan

Damit kein Missverständnis entsteht: Zweifelsohne bietet der Bio-Landbau eine ganze Reihe ökologischer Vorteile. Die Bio-Bewegung war es, die einer auf maximale Industrialisierung ausgerichteten Branche vor Augen führte, dass es auch anders geht, mit stärkerem Augenmerk auf Bodengesundheit und Artenschutz. Es war gut, dass die einstige Agrarministerin Renate Künast vor 20 Jahren ein Siegel einführte und mit Verve bewarb. Sie vermochte es zwar nicht, Bio damit aus der Nische zu holen, bereitete der Öko-Idee jedoch den Weg bis in die Discounter und damit in den Mainstream. Die Bewegung hat noch ein anderes Verdienst: Sie beflügelte die Agrarökologie als wissenschaftliche Disziplin, der wir viele Erkenntnisse über nachhaltige Landwirtschaft verdanken. 

Doch diese Schuldigkeiten hat Bio eben längst getan. Die Menschen haben verstanden, dass es große Unterschiede gibt, wie sehr Landwirtschaft im Einklang mit der Natur stattfindet oder diese ausbeutet. Ein aus hehren Zielen heraus entwickelter, einseitiger politischer Fokus auf Bio-Förderung aber kann die große Nachhaltigkeit nicht bringen. Im Gegenteil: Er ist sogar schädlich. 

Warum? Erstens ist Bio keineswegs in jeder Hinsicht besser: Bio-Rindfleisch verursacht größere Klimaeffekte als konventionelles, Bio-Tiere haben zwar mehr Platz, um ihre Gesundheit ist es jedoch nicht besser bestellt. Zweitens ist Bio ein starres System. Es hat sich seit Jahrzehnten kaum weiterentwickelt und nivelliert die großen Unterschiede in der Nachhaltigkeit, die es auch zwischen Bio-Bauern gibt. Wichtige Faktoren spielen in den Bio-Regularien, die ein mitunter schlechter, handelspolitisch motivierter Kompromiss sind, gar keine Rolle: Wie lang die Transportwege auch waren, wie viel Wasser an trockenen Standorten auch eingesetzt wurde, auf den Produkten pappt das verheißungsvolle Öko-Siegel. Dem nicht anzusehen ist, ob die Bio-Erdbeere in der Bio-Marmelade aus Brandenburg kommt oder aus China.

Auch der Ertrag ist ein Nachhaltigkeitskriterium

Drittens bleibt das Problem des Ertrags – auch das ein Nachhaltigkeitskriterium! –, und der ist im Bio-Landbau nun mal geringer. Nicht wenige sehen die Lösung dafür in einer pauschalen Reduktion der Tierbestände, um, so die vermeintlich schlagende Logik, weniger Flächen zur Futtermittelproduktion zu „verschwenden“. Doch hier zeigt sich, dass agrarökologisches Wissen nicht zwingend Anwendung findet, auch nicht im Ökolandbau. Denn die Forschung zeigt, dass es in einer nachhaltigen Landwirtschaft weltweit zwar deutlich weniger Schweine und Geflügel geben müsste, aber sogar mehr Weidetiere als heute. Andernfalls blieben nötige Zwischenfruchternten ebenso ungenutzt für die Nahrungsmittelproduktion wie der größte Anteil der globalen Agrarfläche, die als Weide taugt, für den Ackerbau aber unbrauchbar ist. 

Die Bio-Regularien bilden unser heutiges Wissen nicht ab. Wer das System Bio fördert, fördert auch dessen Nachteile – aber nicht automatisch Nachhaltigkeit. Schwerwiegender noch: Er beschwört Abwehrreaktionen herauf bei konventionellen Überzeugungstätern. Diese braucht es jedoch, um Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger zu machen. 

Missionarischer Eifer trifft Beharrungskräfte

Viele Protagonisten der Systeme, Bio und Konventionell, stehen sich einigermaßen unversöhnlich gegenüber. Der missionarische Eifer der Bios hat daran ebenso großen Anteil das Beharren mancher Bauernfunktionäre am Prinzip Masse ohne Rücksicht auf Verluste. Beides ruft starke Abneigung auf der jeweils anderen Seite hervor. Parteien begehen den Fehler, die Grabenkämpfe zu spiegeln. Die einen verstehen sich als Interessenvertretung der alten, konventionellen Agrarier – die anderen als Partner der Ökobranche. Das verhärtet die Fronten zusätzlich.

„Nahrung vor Ökologie“, titelte jüngst die Agrarzeitung. Forschungsarbeiten tragen Titel wie: „Ist ökologischer oder konventioneller Landbau besser für die Biodiversität?“ Genau darin liegt das Problem: Wir denken in Entweder-Oder-Kategorien und fragen nicht: Was ist das Beste für den Artenschutz? 

Nicht ein bestimmter Marktanteil des Bio-Segments sollte das Ziel sein, sondern die gewünschte Nachhaltigkeitsbilanz der gesamten Branche. Denn auch in der konventionellen Landwirtschaft gibt es vielversprechende Ansätze. Das so genannte „FRANZ“-Projekt, getragen von einer seltenen Allianz mit Bauernverband und Naturschutzbund, erforscht Wege für mehr Artenschutz. Agroforst-Pioniere treiben die kleinteiligere Strukturierung von Flächen voran, die dem Klima-, Boden- und Gewässerschutz dient. All dies funktioniert jedoch nur in Supernischen, abhängig meist von Projektförderungen. Diese Ideen verdienten die politische Unterstützung, die ihnen heute fehlt. Denn oft tragen Landwirte die Kosten für mehr Nachhaltigkeit, ohne davon zu profitieren. Um höhere Preise zu erzielen, müssten sie mit hohem Aufwand ins Bio-System wechseln und stur Anforderungen genügen, auch wenn diese auf ihren Flächen nicht unbedingt Sinn machen müssen. So lassen sich konventionelle Landwirte nicht zum Ökolandbau bekehren. 

Es geht um Ziele, nicht um Systeme

Alles auf Bio, dieses Ziel ist gleich mehrfach problematisch: Eine Förderung der Wenigen wird die erhoffte ökologische Wirkung verfehlen, die Glaubenskämpfe befeuern – und dafür sorgen, die Ökologisierung der Vielen zu vernachlässigen. Das Bio-Siegel manifestiert als Trennmarke die Zweiteilung der Systeme, die es zu überwinden gilt. 

Wir sollten nicht belohnen, was einem starren Systemgedanken folgt, sondern was messbar mehr Nachhaltigkeit bringt. Und zwar in allen Dimensionen: Genügend Ertrag für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung, ein Angebot entsprechend der gesundheitlichen Empfehlungen, eine möglichst schonende Behandlung der Böden, Arten- und Klimaschutz. 

Warum es nicht der Expertise der Landwirte überlassen, mit welchen Methoden sie dies auf ihren Flächen erreichen? Rahmen, Ziele und Anreize müssen zugleich politisch definiert werden: Etwa indem Agrarsubventionen ausschließlich nach Nachhaltigkeitskriterien gewährt und Steuern auf Wirtschaftsweisen erhoben werden, die den Zielen zuwiderlaufen. 

Es ist an der Zeit klar zu machen, dass es um diese Ziele geht, nicht um Systeme. Entscheidend ist, was hinten rauskommt: Der Artenvielfalt, dem Klima, den Tieren ist es vollkommen egal, ob einem Bauern ein Bio-Zertifikat ausgestellt wurde oder nicht.

Martin Rücker ist freier Journalist und war bis 2021 Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch. Anfang 2022 erschien im Econ-Verlag sein Buch „Ihr macht uns krank“ über die Folgen der deutschen Ernährungs- und Agrarpolitik. Dieser Text erschien in ähnlicher Form zuerst in der Welt.

Buchtitel: Ihr macht uns krank von Martin Rücker

Martin Rücker:

“Ihr macht uns krank”

Die fatalen Folgen deutscher Ernährungspolitik und die Macht der Lebensmittellobby
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Portrait Martin Rücker


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