Die Antwort von Herrn Flintz
Sie zeigt, dass wir in einigen Dingen aneinander vorbeireden.
Sie zeigt, dass er sich als Erzieher begreift.
Sie zeigt die Arroganz gegenüber demokratisch gewählten landwirtschaftlichen Interessenvertretern.
Sie lässt mich ratlos zurück, auch wenn es erfreulich ist, dass er geantwortet hat.
Sehr geehrter Frau Dr. Müller,
vielen Dank für Ihre kritische Auseinandersetzung mit meinem Kommentar in den ARD-Tagesthemen vom 26. Juli und insbesondere dafür, dass es Ihnen gelungen ist, jene sachlich zu halten.
Lassen Sie mich zunächst festhalten, dass das von mir angesprochene Mitleid und die Anerkennung einer Leistung sich nicht ausschließen. Insofern zolle ich den Landwirten, die sich in einer ausgesprochen schwierigen Situation befinden, auch meinen Respekt.
Dennoch muss die Frage nach der Verantwortung für Ernteausfälle von zuge-geben dramatischem Ausmaß erlaubt sein. Und da bestätigen Sie, sehr geehrte Frau Dr. Müller, leider mein Bild einer Interessenvertreterin, die das eingetretene Drama für nahezu unvermeidlich hält – und die Notwendigkeit eines einschneidenden Wandels nicht sieht: Wenn Sie auf den aus Ihrer Sicht mit sieben Prozent niedrigen Anteil der Treibhausgas-Emissionen verweisen, soll ich dann daraus schlussfolgern, dass nur die für die Rettung des Klimas verantwortlich sind, die mehr emittieren? Und soll ich Ihre Erwähnung der Quelle – Pressemeldung Umweltbundesamt – als eine Art „Freispruch“ werten? Letzteres tue ich natürlich nicht, denn schon in einem nur wenig ausführlicheren Text erläutert dieselbe Behörde: „Die Möglichkeiten zur Senkung der Emissionen sind vielfältig und werden in unterschiedlichen Bereichen der landwirtschaftlichen Produktion wirksam. Neben Maßnahmen der Stickstoffeffizienz (gleicher Ertrag mit weniger Einsatz…bieten sich erhebliche Potenziale im Düngemanagement und in der Pflanzen- und Tierproduktion.“ Sie sehen, Journalisten lesen nicht nur Pressemitteilungen…
Ich kann Ihnen versichern: In den zahlreichen kritischen Reaktionen auf meinen Kommentar habe ich den Hinweis auf die „nur sieben Prozent“ nicht nur einmal vernommen, und fast immer verbunden mit einer fehlenden Bereitschaft zur Veränderung. Darüber wiederum muss man sich nicht wundern, wenn auch die Bauernspitze die entsprechende Notwendigkeit nicht sieht und demzufolge auch nicht propagiert.
Einverstanden bin ich mit dem Slogan „Evolution statt Revolution“. Allerdings haben wir beide offenbar nicht dasselbe Verständnis vom Entwicklungstempo. Die von Ihnen angesprochene Düngeverordnung mag als gutes Beispiel gelten: Zunächst wurde die Absicht einer Novellierung von vielen Bauernvertretern skeptisch beäugt, nach deren Verabschiedung in 2017 kam dann die Kritik (und zwar nicht nur an dem angeblichen zusätzlichen Bürokratieaufwand, sondern auch an den Beschränkungen der Düngung, so etwa von Ihren thüringischen Kollegen) – und jetzt ist es ausgerechnet diese Düngeverordnung, die herhalten muss als Bollwerk gegen das jüngste EuGH-Urteil und damit verbundene Forderungen nach weiteren Maßnahmen zum Gewässerschutz. Man kann es auch so formulieren: soviel Evolution wie (aufgrund des gesellschaftlichen Drucks) gerade nötig und nicht soviel wie möglich.
Diese Haltung, das Mögliche möglich zu machen, benötigen wir aber meines Erachtens. Und dafür muss man die Landwirtschaft nicht auf den Kopf stellen –auch wenn Sie meinen Kommentar so ausgelegt wissen wollen: Nur Öko-Landwirtschaft? Habe ich nicht gefordert. Und sonst helfen nur noch Hofläden und Ferienwohnungen? Habe ich nicht behauptet. Ich habe sie nur als Beispiele genutzt für Diversifizierung – und für unternehmerische Phantasie. So wie sie beispielsweise auch ein Weseler Landwirt hat, über den ich zufällig am Wochenende las, dass er nunmehr Hausboote auf einem nahegelegenen See vermietet. Den Bauernhof behält er demnach trotzdem, nur von der Milchwirtschaft hat er sich getrennt.
Sie zeigen sich solcher Diversifizierung gegenüber skeptisch und schreiben von Spezialisierung als einem ökonomischen Gesetz. Abgesehen davon, dass ich kein Freund von solchen Allgemeinplätzen bin: In jedem Fall gehört zu den ökonomischen Gesetzen, dass Unternehmen vom Markt verschwinden, wenn die Spezialisierung nicht funktioniert hat. Sie aber predigen die Spezialisierung und wenn es dann mal nicht klappt, soll der Staat herhalten – wenn ich Sie richtig verstanden habe.
Um den Bogen zurück zur Düngeverordnung – und dem zugrundeliegenden Problem des Gülleüberschusses und damit verbundener unvertretbar hoher Nitratwerte im Grundwasser vieler Regionen – zu schlagen: Ein erster evolutio-närer Schritt wäre für mich die Erkenntnis, dass es volkswirtschaftlich und um-weltpolitisch keinen Sinn macht, in einem Bundesland wie NRW mit seiner hohen Bevölkerungsdichte Hochburgen der Viehzucht zu haben, wenn der Export von Gülle wer weiß wohin erfolgen muss – weil die heimischen Flächen schon überdüngt sind. Der zweite Schritt wäre für mich, sich nicht darauf auszuruhen, dass die Düngeverordnung erst in vielen Jahren Ergebnisse zeitigen kann – sondern zur Kenntnis zu nehmen, dass viele Experten der Düngeverordnung ein Scheitern voraussagen (und wir in vielen Jahren wieder bei Null anfangen). Evolution wäre also für mich, schon jetzt darauf hinzuarbeiten, weniger Fleisch mit höherer Qualität zu besseren Preisen zu produzieren – was nicht nur in Richtung einer umweltfreundlicheren Kreislaufwirtschaft ginge und die Nitratwerte gewiss senken würde, sondern auch positive Ernährungseffekte hätte.
Ich ahne es, Sie vermuten in mir wieder einen, der die Leute per Zwangswirt-schaft zum „Vegetarier-Glück“ zwingen will, während sie auf Selbstbe-stimmung der Menschen und Marktpreise setzen. Rein vorsorglich mein Widerspruch gegen dieses Bild: Wenn man auf einem Sektor ganz gewiss ohnehin nicht von Marktwirtschaft sprechen kann, dann ist es der hochsubventionierte Agrarmarkt. Und wenn Sie kritisieren, dass es für Bioprodukte eine höhere Flächenprämie gibt, dann antworte ich: Genau dies ist angemessen, weil diese Art des Wirtschaftens weniger Umweltschäden und mithin Kosten verursacht. Denn in einem Kilo Schweinesteaks für zum Bei-spiel 5,50 Euro sind die Umweltschäden nicht eingepreist.
Wir sollten also Versuche, das Preisniveau zu heben, nicht als Gängelung und/oder hoffnungslos diskreditieren, sondern als, wie andere Länder zeigen, realistische Option, Landwirtschaft und Umweltschutz zu betreiben. Das wird nicht einfach sein, ich weiß. Aber mit Funktionärinnen und Funktionären, die ihren Mitgliedern so wenig Notwendigkeit zur Veränderung signalisieren – und den Versuch, höhere Preise zu erzielen, nicht als evolutionär sondern als revolutionär ansehen – wird es noch schwerer. Unnötigerweise.
Ich würde mich freuen, würden Sie auch diese Zeilen in den Verteiler Ihres offenen Briefes geben. Für einen weiteren Austausch stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Detlef Flintz
Anmerkungen:
Detlef Flintz ist Leiter Programmgruppe Wirtschaft und Recht beim WDR (Link)
Die Antwort von Detlef Flintz bezieht sich auf dem offenen Brief, den Heike Müller am 28. Juli veröffentlicht hat und der hier zu lesen ist
Ich wette, wenn man ihn nach konkreten Zahlen zum vermeintlich hohen Viehbestand fragt kann er nichts angeben.
Interessant an der Erwiderung von Herrn Flintz finde ich folgende Passage:
“Wir sollten also Versuche, das Preisniveau zu heben, nicht als Gängelung und/oder hoffnungslos diskreditieren, sondern als, wie andere Länder zeigen, realistische Option, Landwirtschaft und Umweltschutz zu betreiben. Das wird nicht einfach sein, ich weiß. Aber mit Funktionärinnen und Funktionären, die ihren Mitgliedern so wenig Notwendigkeit zur Veränderung signalisieren – und den Versuch, höhere Preise zu erzielen, nicht als evolutionär sondern als revolutionär ansehen – wird es noch schwerer. Unnötigerweise.”
Herr Flintz spricht als Außenstehender hier genau den wichtigsten Punkt an: Die absolut unfaire Preisgestaltung in der Landwirtschaft, die zu dauerhaft zu niedrigen Erzeugerpreisen führt. Dass eine Funktionärin der angeblichen Interessenvertretung der Bauern, des Bauernverbandes, diese Diskussion komplett zurückweist, ist bezeichnend. Es ist genau die Tatsache, dass der BV den Kampf um gerechte Erzeugerpreise aufgegeben hat, die uns in die Intensivierung und ins Wachstum zwingt und damit sehr viele Probleme verursacht, die der Landwirtschaft heute angekreidet werden. Bezeichnend, dass der BV in der jetzigen Dürresituation keinen Versuch unternimmt, Mehrkosten und Mindererlöse durch bessere Preise aufzufangen, sondern nach staatlicher Milliardenhilfe ruft. Ein Grund dafür ist wohl die strukturelle und personelle Verquickung des BV und seiner Funktionäre mit den Abnehmern unserer Produkte, gerade auch Genossenschaften, die von niedrigen Erzeugerpreisen profitieren. Einmal mehr stellt sich die Frage: Wessen Interessen vertritt der Bauernverband?
Herr Ilchmann,
Ich bin weder strukturell noch personell mit einem unserer Abnehmer verquickt.
Ich habe Marktwirtschaft auch erst lernen müssen, jedenfalls in der Praxis, die Theorie haben wir im Studium im Fach „Politische Ökonomie des Kapitalismus“ schon beigebogen bekommen.
In der verflochtenen Weltwirtschaft sind bisher im landwirtschaftlichen Sektor alle Theorien und Versuche in Richtung einer langfristigen Preisbeeinflussung gescheitert. Und wenn das so einfach wäre: warum unternehmen Sie mit Ihrer ja auch nicht kleinen Bauernorganisation denn nicht selber diesen Versuch und zeigen, wie es geht?
Das ist genau was Herr Flintz schreibt: Sie “diskreditieren alle Versuche, das Preisniveau zu heben, als hoffnungslos”, hier gerade schon wieder. Seit mehr als 20 Jahren hat der BV nicht nur alle Bemühungen aufgegeben, sich für gerechte Preise einzusetzen, nein, er arbeitet auch noch aktiv dagegen, wenn es irgendwo versucht wird. Die AbL, liebe Frau Müller, ist natürlich entgegen ihres Kompliments doch eher klein, aber eines ist sie auf jeden Fall: Eine Bauernorganisation, die die Interessen der Bauern vertritt. Trifft nicht für jeden Verband zu! Wir fordern als Hilfe in der Dürresituation z.B. nicht eine Milliarde vom Staat, sondern wir fordern Ministerin Klöckner auf, einen Agrargipfel mit allen Beteiligten einzuberufen, von den Bauern über die Verarbeiter und Vermarkter bis zum Handel und den Verbrauchern, um unter dem Stichwort Landsolidarität die Folgen und Lasten der Trockenheit gemeinsam zu schultern, und zwar vor allem in erster Linie durch moderate Erhöhung der Erzeugerpreise. Solidarität sollte Ihnen aus Ihrem Studium noch ein Begriff sein. In der gegenwärtigen Praxis der Bauernverbands ist Solidarität leider ein Fremdwort. Das Motto “Wachsen oder Weichen”, das Sie ja in Ihrem Brief an Herrn Flintz tatsächlich anführen (hier im Westen traut sich das schon kein BV-Funktionär mehr), und als ökonomisches Gesetz bezeichnen, ist genau das Gegenteil von Solidarität. Was für eine Berufs- und Interessenvertretung!